
Unter dem Dach des Dianatempels wird an Sommerabenden gerne getanzt. Von hier aus geht der Blick zu den Türmen der Theatinerkirche. Sie gilt als eines der ersten Barockbauwerke in Bayern – ihr sonnengelber Anstrich ist dem Farbton von Schloss Schönbrunn in Wien nachempfunden.
Willkommen in der Graggenau
Die Graggenau – wer oder was soll das bitte sein? Wenn Sie sich das fragen, seien Sie beruhigt: Sie sind nicht allein. Auch viele alteingesessene Münchnerinnen und Münchner kennen die Bezeichnung dieses Altstadtviertels nicht.
Angerviertel, Hackenviertel, Kreuzviertel? Ja, das hört sich vertrauter an – aber „die Graggenau“? Dabei ist sie gerade jenes innerstädtische Gebiet, in dem wohl die meisten Urmünchner Institutionen, wie etwa Dallmayr, das Hofbräuhaus oder auch die Hofbräuhaus-Kunstmühle, beheimatet sind. Außerdem versammeln sich hier ebenso Alter Hof, Hofgarten, Rathaus, Residenz und Oper – also jene Gebäude und Orte, die mithin zu den bekanntesten von ganz München zählen. Ihr Name bleibt ein Phantom, ihr Inhalt hingegen ist weltbekannt: die Graggenau, ein seltsames Paradoxon.
Doch der Reihe nach: Nachdem München zum ersten Mal 1158 im Augsburger Schied urkundlich erwähnt wurde, wuchs die anfängliche Siedlung zu einer Kleinstadt mit einem Längendurchmesser von gerade einmal 500 Metern heran. Aufgrund ihrer ovalen Form und des Namens ihres Begründers, des Welfenherzogs Heinrich der Löwe, taufte sie der Volksmund auf „Heinrichsei“. Als Wegknotenpunkt hatte das Heinrichsei von Beginn an Bedeutung: Hier trafen sich die Salz- und die Weinstraße. Während die Salzstraße von Ost nach West verlief und Salzburg und Hallein, wo das damals so wertvolle weiße Gold abgebaut wurde, mit Schwaben verband, ging die Weinstraße von Süd nach Nord.
Sie verknüpfte Norditalien mit Flandern und somit zwei der größten Wirtschaftszentren des Mittelalters. Die beiden Handelsrouten trafen sich nicht nur im damaligen München, ihre Kreuzung – an der übrigens der Marienplatz entstand – teilte das Heinrichsei auch in vier Viertel. In der Graggenau, dem nordöstlichen Teil, ließ sich im 12. Jahrhundert das Herrschergeschlecht der Wittelsbacher nieder. Eine folgenträchtige Entscheidung für München, die sich sogar in der Kartografie ablesen lässt: Am nordöstlichen Rand erhält das Heinrichsei eine kleine kantige Ausbeulung – hier entsteht mit dem Alten Hof der erste Herrschersitz der Wittelsbacher in München. Was bei der selbstbewussten Münchner Bürgerschaft nicht unbedingt auf Gegenliebe trifft: Man wollte schließlich freie Reichsstadt werden und argwöhnte eine unbotmäßige Einmischung der Adeligen in städtische Angelegenheiten. Sich dessen bereits wohlbewusst, platzierten sich die Wittelsbacher strategisch klug in Randlage, noch dazu leicht erhoben: Der Alte Hof in der Graggenau gewährleistete eine gute Verteidigung – nach außen wie auch nach innen.
Die Wehrhaftigkeit des Alten Hofs kann man heute noch spüren. Massive Mauern, aber auch Türmchen, Wappen oder auch ein welliger Dachfirst über dem Zwingerstock zeugen von der Historie dieses Ortes. Und dann ist da noch der Affenturm: ein schmucker, über mehrere Stockwerke gehender Erker, um den sich ein Mythos rankt, den heute jedes Münchner Schulkind kennt. Doch trotz der geballten Geschichte dieser ehemaligen Stadtburg: Der Innenhof ist ein erstaunlich ruhiger, sehr friedlicher Ort – und das nur wenige Schritte vom betriebsamen Marienplatz entfernt. Das dichte Nebeneinander von Geschäftigkeit und kleinen Ruheoasen ist ohnehin charakteristisch für die Graggenau: hier das Hofbräuhaus, dort die beschaulichen Platzlgassen, hier die Maximilianstraße, dort der Kabinettsgarten mit seinen Rosen und Springbrunnen. Dieses Viertel hat alles – und obendrein noch Stille. Wie aber ging es weiter mit der Fehde zwischen Münchnern und Wittelsbachern? München, so viel vorweg, wurde nie eine Reichsstadt. Dafür aber: prächtige Residenzstadt. Zwischen 1300 und 1400 versechsfachte sich die Fläche der Stadt, das kleine Heinrichsei platzte aus allen Nähten und wurde bald Geschichte. Mit dem Zuwachs verlor aber auch der Alte Hof seine damals exklusive Randlage, eine neue Bleibe musste gefunden werden. Das war der Startschuss für den Bau der Residenz: wieder am damaligen Stadtrand, wieder in der Graggenau. Anfänglich ein Wasserschloss – Bodenmarkierungen im Apothekenhof der Residenz legen noch heute Zeugnis davon ab –, wurde der neue Herrschersitz schnell zum opulenten Palast, der sich stetig vergrößerte. Über Jahrhunderte hinweg wurde angebaut, so dass sich heute allerlei Baustile in dem Komplex bestaunen lassen: angefangen vom monumentalen Gewölbe des Antiquariums im Stil der Renaissance über die Grüne Galerie in feinstem Rokoko bis hin zum klassizistischen Königsbau mit seiner Stirnseite am Max-Joseph-Platz, übrigens eine meisterhafte Kopie des Palazzo Pitti in Florenz.
Der Wirkungskreis der Wittelsbacher erstreckte sich freilich viel weiter, über ganz Bayern und die Pfalz. Doch besonders spürbar war und ist er eben in ihrem direkten Umfeld – der Graggenau. So findet sich hier das Höfische auch heute noch in vielen Vokabeln wieder – man muss sich dessen nur bewusst werden: Hof-Bräuhaus! Hof-Garten! Hof-Pfisterei! Und auch die Münchner von damals erkannten, dass die Wittelsbacher durchaus ihren Vorteil hatten: Sie brachten nicht nur das Bier im großen Stil nach München, vor allem traten sie auch als solide Arbeitgeber auf. In unmittelbarer Nachbarschaft zur Residenz entstand so ein florierendes Unternehmertum: Handwerksbetriebe, Bekleidungsgeschäfte und Lebensmittelhändler siedelten sich an – etwa 800 sogenannte königliche Hoflieferanten soll es zwischenzeitlich gegeben haben, viele davon in der Graggenau.
Einige davon existieren bis heute fort, wie etwa Dallmayr, Ludwig Beck, der Maßanzugschneider Eduard Meier oder der Zigarrenhändler Zechbauer. Auch Adelsfamilien versammelten die Wittelsbacher um sich. Davon erzählt zum Beispiel das Palais Preysing, ein Rokoko-Stadtpalast mit imposantem Treppenhaus, direkt hinter der Feldherrnhalle. Und gleich ums Eck grüßt Bayerns erster König Max I. Joseph seit mehr als 150 Jahren gutmütig von seinem Eisenthron, während Münchnerinnen und Münchner ebenso wie Touristen inzwischen den Sims vor der Residenzfassade zur wohl längsten Bank Münchens umfunktioniert haben – und sich die Frühjahrs- oder Herbstsonne ins Gesicht scheinen lassen. Bald wird es wohl noch mehr Sitzgelegenheiten geben: Die Stadt plant eine Begrünung des Platzes und will so die Aufenthaltsqualität vor der Oper steigern. Die Graggenau: ein historisches Viertel im Wandel, das jedoch weder von seiner Eleganz noch von seiner Vielfalt eingebüßt hat – sondern immer mehr dazugewinnt.
Bleibt nur noch die Frage zu klären: Woher kommt eigentlich der Name? Dieser leitet sich, ganz profan, von jenen vielen Krähen ab, die früher vor allem in der Gegend ums Platzl zuhause waren – und dort auf freien Wiesenflächen (einer „Au“) auf Futtersuche gingen. Sie sehen, die Etymologie des Ortes ist eigentlich unerheblich – viel wichtiger ist hingegen zu erfahren, wie sich die Graggenau heute anfühlt.

Die Graggenau erstreckt sich vom Hofgarten bis zum Viktualienmarkt und vom Marienplatz bis zum Isartor.

Vom "EI" zur Stadt. Aus einer kleinen Siedlung wurde innerhalb eines guten Jahrhunderts eine Residenzstadt.

Der Legende nach besaß Ludwigs Vater ein kleines Äffchen. Dieses Äffchen liebkoste den kleinen Ludwig so sehr, dass es ihn – nach einem Aufschrei der Amme – in den Turm der Residenz, ganz nach oben auf die Turmspitze, entführte. Nach der glücklichen Rückkehr beider erhielt der Turm seinen Namen: „Affenturm“.

Die Löwen vor der Residenzfassade sind legendär. Reibt man an den metallenen Schnauzen auf ihren Wappen, wird man entweder sehr glücklich – oder sehr reich, je nach überliefertem Mythos.

Menschen sonnen sich auf der „wohl längsten Bank Münchens“ vor dem Königsbau der Residenz, der dem florentinischen Palazzo Pitti nachempfunden ist.

Vom Monopteros geht der Blick über den südlichen Teil des Englischen Gartens zu den Türmen der Münchner Altstadt.